Wie wird ADHS im Erwachsenenalter festgestellt?

Um ADHS bei einem Erwachsenen festzustellen, müssen viele Dinge beachtet werden.

Im Vordergrund der Untersuchung steht ein ausführliches Gespräch mit dem Betroffenen, in der Fachsprache Exploration oder auch Anamnese genannt. Hierbei werden die aktuellen Probleme, Belastungen und einzelne Symptome genau erfragt und die Lebensgeschichte sowie die Entwicklung der Probleme bis zur Gegenwart erhoben. Dabei kann es sehr hilfreich sein, wenn Partner, Eltern oder andere Bekannte, die die Person lange kennen, dabei sind. Sie können berichten, wann ihnen etwas am Verhalten der Person aufgefallen ist.

Neben dem ausführlichen diagnostischen Gespräch können Fragebögen eingesetzt werden. Diese können vom Patienten selbst, und nach dessen Einwilligung auch von seinem Partner, Ausbildungsleiter oder von Kollegen ausgefüllt werden.

Auf den nächsten Seiten erfahren Sie mehr über die Diagnostik von ADHS im Erwachsenenalter. Wir beantworten Ihnen folgende Fragen:

Die Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter können verschiedene Ärzte oder Psychotherapeuten feststellen.

Hier erfahren Sie mehr zu den verschiedenen Berufsgruppen:

Psychiater

Psychiater, genauer Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, haben Medizin studiert. Nach Abschluss des Medizinstudiums haben sie in medizinischen Einrichtungen eine mehrjährige Facharztausbildung zum Psychiater absolviert. In dieser Ausbildung haben sie spezielle Kenntnisse über Entstehung und Verlaufsformen von psychischen Störungen erworben und gelernt, diese psychischen Störungen zu erkennen und zu behandeln. Sie können Medikamente verschreiben und sind auch berechtigt Psychotherapien durchzuführen.

Ärztliche Psychotherapeuten

Diese Bezeichnung steht für Ärzte verschiedener Fachrichtungen mit einer psychotherapeutischen Zusatzausbildung (z. B. "Psychotherapie" oder "Psychoanalyse"). Es gibt Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin aber auch andere Fachärzte können einen Zusatztitel für Psychotherapie erwerben. So ausgebildete Ärzte werden zusammenfassend als "Ärztliche Psychotherapeuten" bezeichnet.

Psychologische Psychotherapeuten (PP)

Als „Psychologische Psychotherapeuten“ bezeichnet man Psychologen mit einer psychotherapeutischen Zusatzausbildung. Sie können auf Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierte/psychoanalytische Therapie spezialisiert sein. Psychologische Psychotherapeuten verschreiben keine Medikamente. Falls eine organische Erkrankung mitbehandelt werden muss oder wenn bei einer psychischen Erkrankung eine Kombination von psychologischer und medikamentöser Therapie notwendig ist, arbeiten sie mit Ärzten zusammen.

In Einzelfällen haben sich auch andere Ärzte, z.B. Fachärzte für Allgemeinmedizin, in der Diagnose von ADHS fortgebildet und können wichtige Ansprechpartner sein.

In Leitlinien haben Fachleute festgehalten, welche Untersuchungen für die Diagnose einer ADHS gemacht werden sollten.

Grundsätzlich muss der Untersucher im Gespräch erörtern, welche derzeitigen Symptome beim Patienten vorliegen. Außerdem muss er auch überprüfen, ob in der Vergangenheit die Kriterien für die Diagnose einer ADHS im Kindes- oder Jugendalter erfüllt wurden (hier mehr zu den Kriterien im Kindesalter). Ein Gespräch mit Angehörigen, Partnern oder Freunden kann dem Untersucher, in dem er die Symptomatik bei Patienten erfragt, kann in diesem Prozess sehr nützlich sein.

Der Untersucher muss ausschließen, dass die Symptome nicht durch die Einnahme von Medikamenten oder andere Substanzen ausgelöst wurden. Da auch bestimmte neurologische oder internistische Erkrankungen (z. B. Schilddrüsenerkrankungen, Anfallsleiden, Schädel-Hirntrauma oder Schlaferkrankungen) die typischen Symptome einer ADHS hervorrufen können, müssen diese Ursachen ebenfalls ausgeschlossen werden. Außerdem müssen verschiedene andere psychische Störungen ausgeschlossen werden, die möglicherweise ähnliche Symptome, wie bei einer ADHS hervorrufen können. Wenn die Diagnose einer ADHS gesichert ist, muss auch noch überprüft werden, ob andere psychische Probleme oder Störungen zusätzlich noch vorliegen.

Für die Diagnostik einer ADHS haben Fachverbände Leitlinien entwickelt, an denen sich die Untersucher orientieren sollten. Die Abklärung einer ADHS dauert üblicherweise mehrere Sitzungen und kann folgende Bestandteile enthalten:

Das Untersuchungsgespräch (Exploration)

Im Vordergrund der Diagnostik steht das Gespräch (Exploration) mit dem Betroffenen. Hier erfragt der Untersucher die aktuellen Probleme und erörtert zusätzlich, ob in der Vergangenheit die Kriterien von ADHS im Kindes- und Jugendalter (hier mehr zu den Kriterien im Kindes- und Jugendalter) erfüllt waren.

Da bei einer ADHS in der Regel Probleme auf der Arbeit oder in Freundschaften und Partnerschaften auftreten, ist - mit dem Einverständnis des Betroffenen - ein Gespräch mit Freunden, Partnern oder Kollegen ebenfalls sehr sinnvoll. Hier können die konkreten Verhaltensprobleme in verschiedenen Situationen erfragt werden.

Nach dem Untersuchungsgespräch kann der Untersucher weitere notwendige diagnostische Untersuchungen festlegen.

Fragebögen

Neben dem Gespräch können standardisierte Fragebögen eingesetzt werden, um die Probleme genau zu erfassen. Diese Fragebögen gibt es in Form einer Selbstauskunft für den Betroffenen selbst oder auch als Fremdauskunft für Bezugspersonen, Partner und Freunde des Betroffenen.

Folgende Fragebögen gibt es für den Erwachsenenbereich:

Klinisches Urteil

Selbsturteil

  • ADHS-DC (HASE)
  • ADHS Interview (IDA)
  • CAARS-O
  • WIR (HASE)
  • ADHS-SB (HASE)
  • ADHS-E
  • CAARS-S
  • KATE
  • WR-SB
  • WURS-K (HASE)
  • ADHS-DC: ADHS Diagnostische Checkliste, (HASE: Rösler et al., 2008)
  • ADHS-E:  ADHS Screening für Erwachsene (Schmidt und Petermann, 2013)
  • ADHS-SB: ADHS Selbstbeurteilungsskala (HASE: Rösler et al., 2008)
  • CAARS-O: Conners Skalen zu Aufmerksamkeit und Verhalten für Erwachsene, Fremdbeurteilung (Christiansen et al., 2015)
  • CAARS-S: Conners Skalen zu Aufmerksamkeit und Verhalten für Erwachsene, Selbstbeurteilung (Christiansen et al., 2015)
  • Conners-3: Conners Skalen zu Aufmerksamkeit und Verhalten – 3 (Lidzba et al., 2015)
  • CONNERS EC: Conners Skalen zu Aufmerksamkeit und Verhalten - Vorschulversion (Harbarth et al., 2015)
  • DCL-ADHS: Diagnose-Checkliste ADHS aus dem Diagnostik-System DISYPS-III (Döpfner & Görtz-Dorten, 2017)
  • HASE: Homburger ADHS Skalen für Erwachsene (Rösler et al., 2008)
  • IDA: Integrierte Diagnose für ADHS im Erwachsenenalter (Retz et al., 2013)
  • ILF-EXTERNAL: Interviewleitfaden für Externale Störungen aus dem Diagnostik-System DISYPS-III (Görtz-Dorten & Döpfner, 2018)
  • FBB-ADHS-V: Fremdbeurteilungsbogen für Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörungen im Vorschulalter aus dem Diagnostik-System DISYPS-III (Döpfner & Görtz-Dorten, 2017)
  • FBB-ADHS: Fremdbeurteilungsbogen für Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörungen aus dem Diagnostik-System DISYPS-III (Döpfner & Görtz-Dorten, 2017)
  • KATE: Kölner ADHS Test für Erwachsene (Lauth und Minsel, 2014)
  • SBB-ADHS: Selbstbeurteilungsbogen für Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörungen aus dem Diagnostik-System DISYPS-III (Döpfner & Görtz-Dorten, 2017)
  • WIR: Wender-Reimherr Interview (HASE: Rösler et al., 2008)
  • WR-SB: Wender-Reimherr Selbstbeurteilungsfragebogen (Retz-Junginger et al., 2017)
  • WURS-k: Wender-Utah Rating Scale – deutsche Kurzform (HASE: Rösler et al., 2008)

 

Verhaltensbeobachtung

Die Verhaltensbeobachtung bei Erwachsnen mit ADHS ist häufig weniger aufschlussreich als bei Kindern oder Jugendlichen. Da das hypermotorische Verhalten bei vielen Betroffenen in der Jugend zurück geht und eher einer inneren Unruhe weicht, weisen nur noch wenige der erwachsenen Betroffenen körperliche Unruhezeichen auf.

Viele der Betroffenen haben keinerlei Probleme damit längere Zeit ruhig auf einem Platz sitzen zu bleiben. Anzeichen einer Störung der motorischen Aktivität im Erwachsenenalter können sein:

  • Trommeln mit den Fingern
  • Spielen mit Stiften oder Schlüsseln
  • An sich herum nesteln
  • Wippen im Sitzen mit den Füssen rhythmisch vor und zurück

Testpsychologische Untersuchung

Testpsychologische Untersuchungen können gegebenenfalls zur Sicherstellung der Diagnose ADHS beitragen. Die Diagnose selbst kann aber nicht durch einen einzigen Testwert  sichergestellt werden, da es nicht einen ADHS-Test gibt.

Bei Problemen in der Ausbildung und im Studium kann eine Intelligenztestung sinnvoll sein. Bei Problemen beim Rechnen oder Schreiben kann es sinnvoll zu überprüfen, ob eine Teilleistungsschwäche, wie eine Lese-Rechtschreib-Störung, vorliegt.

​​​​​​​Körperliche Untersuchungen

Um die Diagnose ADHS stellen zu können, müssen bestimmte körperliche Erkrankungen zunächst als Erklärungsmöglichkeit für die Probleme der betroffenen Person ausgeschlossen werden, da verschiedene Grunderkrankungen ähnliche Symptome auslösen, wie eine ADHS. Zum Beispiel können Schilddrüsenerkrankungen, Anfallsleiden oder ein Schädel-Hirntrauma ähnliche Symptome wie ADHS auslösen. Außerdem muss überprüft werden, ob die Symptome durch die Einnahme eines Medikaments oder durch den Missbrauch von Substanzen ausgelöst wurden. Daher sind körperliche Untersuchungen des internistischen und neurologischen Status und Blutentnahmen zur Bestimmung von Laborparametern in der Regel unverzichtbar.

Für eine mögliche medikamentöse Behandlung bei ADHS sind manchmal weitere körperliche Untersuchungen notwendig.

​​​​​​​Technische Untersuchungen

In Leitlinien empfehlen Fachleute als Zusatzdiagnostik eine Untersuchung der Schilddrüse und ein EEG, denn erst wenn internistische und neurologische Erkrankungen ausgeschlossen werden können, ist die Diagnose ADHS erlaubt. In manchen Fällen sind zusätzlich Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren (CT, MRI, fMRI) oder psychophysiologischen Verfahren (EEG, evozierte Potentiale oder transkranielle Magnetstimulation) sinnvoll, um strukturelle und funktionelle Besonderheiten des Gehirnes zu analysieren.